Keynotes

Prof. Dr.-Ing. Conrad Völker
Dr. Theresa Schellander-Gorgas
Assoz. Prof. Dr.-Ing. Fabian Ochs
Dr.-Ing. Kai Rewitz

Simulationen und Messungen als Schlüsselinstrument in Krisenzeiten

Der Klimawandel, die Corona-Pandemie und die Energiekrise durch den Ukraine-Krieg – in all diesen Krisen können bauphysikalische Simulationen und Messungen unterstützen. Die Ursache der erstgenannten Krise, dem Klimawandel, sind die anthropogenen Treibhausgasemissionen, für die zumindest in Deutschland zu 40% die Gebäude verantwortlich sind. Für die bis 2045 angestrebte Klimaneutralität müssen Gebäude folglich energieeffizient sowie für den verbleibenden Energiebedarf die Potenziale erneuerbarer Energien genutzt werden. Als Grundlage dafür kann z.B. die energetische Gebäude- und Quartiersimulation dienen.

In der zweitgenannten Krise wurde in den vergangenen Jahren auf dramatische Weise deutlich, dass die Übertragung von Infektionskrankheiten über die Raumluft ein erhebliches Risiko darstellen kann. Um dieses Risiko zu senken, wurde während der COVID-19-Pandemie unter anderem versucht, den Infektionsschutz durch die Erhöhung der Luftwechselrate zu verbessern. Aufgrund fehlender Infrastruktur und manchmal auch aufgrund mangelnden Wissens wurden Methoden wie die Lüftung von Schulklassen oder Großraumbüros im 20-Minuten-Takt empfohlen. Bauphysikalische Messungen und Simulationen, z.B. der Raumluftströmung, kamen nur vereinzelt zum Einsatz und trugen zur politischen Entscheidungsfindung kaum bei.

Wenig später, während der sogenannten Energiekrise, änderte sich die Gewichtung des Zielparameters, als die Einsparung von Energie zum obersten Gebot erklärt wurde. Dabei geriet der nach wie vor wichtige Infektionsschutz in den Hintergrund, auch wenn das Ende der Pandemie noch nicht ausgerufen war, und das Infektionsrisiko stieg wieder deutlich an. Gleichzeitig wurde der thermische Komfort durch die Ausrufung von Maximaltemperaturen von 19 °C beeinträchtigt. Auch hier hätten bauphysikalische Messungen und Simulationen dienlich sein können.

Es muss Aufgabe der Bauphysik der nächsten Jahre sein, nicht nur die eigenen Tools stetig weiterzuentwickeln, sondern diese auch bei aktuellen und zukünftigen Krisen als Schlüsselinstrument einzusetzen.

  • Prof. Dr.-Ing. Conrad Völker

    Prof. Dr.-Ing. Conrad Völker ist Professor für Bauphysik an der Bauhaus-Universität Weimar. Die Forschungsschwerpunkte seiner Professur liegen einerseits im Bereich des Raumklimas, wobei sowohl messtechnische als auch numerische Verfahren zum Einsatz kommen. Ziel ist die Steigerung der thermischen Behaglichkeit, der Raumluftqualität sowie der Energieeffizienz, zum Beispiel durch sogenannte Personal Comfort Systems. Die Untersuchungen finden im eigens dafür entwickelten Klimalabor statt, die Visualisierung von Raumluftströmungen erfolgt mit den selbst entwickelten Schlierenverfahren.

    Thematisch angrenzend wird im zweiten Forschungsschwerpunkt der Professur, der Akustik, an der Entwicklung der Akustischen Tomographie zur Messung von Lufttemperatur und Strömungsgeschwindigkeiten geforscht. Darüber hinaus werden Mess-, Beurteilungs- und Prognoseverfahren zur Übertragung von körperschallinduzierter Schallpegel, zum Beispiel resultierend aus haustechnischen Geräten, entwickelt.

    Der dritte Forschungsschwerpunkt ist die Simulation des Energiebedarfs auf der Ebene städtischer Quartiere zur nachhaltigen Transformation des Gebäudebestands. Hierfür sind Bestandsdaten zwingend erforderlich, für deren Ermittlung die Professur verschiedene Methoden entwickelt. Beispielhaft sei die Abschätzung des U-Werts mit Hilfe der Thermographie oder, insbesondere unter transienten Randbedingungen, mit Künstlichen Neuronalen Netzwerken genannt.

    Ergänzend zur grundständigen Lehre ist Professor Völker auch in der Weiterbildung mit dem von der Bauhaus-Universität Weimar angebotenen Masterstudiengang „Bauphysik und energetische Gebäudeoptimierung aktiv. Neben dem Master of Science können auch Certificate of Advanced Studies (CAS) für Schallschutz und Akustik, Wärme und Feuchte vergeben werden. Begleitend zu seiner Tätigkeit in Forschung und Lehre ist Prof. Völker Mitglied zahlreicher inner- sowie außeruniversitärer Gremien.

Klimainformation für den Bausektor – Wo stehen wir und wohin führt der Weg?

Der fortschreitende Klimawandel zeigt weltweit, aber auch in Österreich erste, teils katastrophale Auswirkungen. Neben dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen zur Verringerung des Treibhausgasausstoßes, müssen auch Maßnahmen zur Anpassung an die Veränderungen umgesetzt werden. Eine wichtige Information für die Entscheidungsprozesse zur Planung von Maßnahmen sind Informationen über die Art und Intensität von Klimaänderungen. Welche Datengrundlagen gibt es für potentielle zukünftige Klimaverläufe generell und im Speziellen für den Bereich Bauen und Wohnen? Wie kann mit den Daten gearbeitet werden und wie sind Unsicherheiten zu interpretieren? Auf diese Fragestellungen wird ebenso eingegangen werden wie auf die Möglichkeiten der Simulation von Extremereignissen im Klimakontext. Extreme Klima- und Wetterphänomene und ihre zukünftigen Trends sind für die Klimaforschung ebenso eine Herausforderung wie für den Bausektor, etwa durch veraltete Datengrundlagen für Bemessungsniederschläge. Im Zuge eines Updates der Österreichischen Klimaszenarien, an dem derzeit gearbeitet wird, ergeben sich Chancen den Bedarf des Bausektors an erneuerten Datengrundlagen schon in der Planungsphase mitzunehmen.

  • Dr. Theresa Schellander-Gorgas

    Dr. Theresa Schellander-Gorgas ist Meteorologin und Klimaforscherin. Sie promovierte 2014 im Fach Meteorologie an der Universität Wien. Nach Stationen als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Wien (2004-2011) und BOKU (2011/12) begann sie 2012 ihre Tätigkeit an der GeoSphere Austria (bis 2022 ZAMG), zunächst mit der Weiterentwicklung von Wettervorhersagemodellen. Sie arbeitete an Fragestellungen der Vorhersagbarkeit und Ensemblevorhersage und vertrat die ZAMG als Area Leader for Predictability im RC-LACE-Konsortium.  Seit 2016 ist sie im Bereich Klimafolgenforschung an der GeoSphere Austria (ehem. ZAMG) tätig.  Sie arbeitet im Fachbereich regionale Klimamodellierung, insbesondere mit empirisch-statistischen Downscaling-Methoden und in der Validierung und Aufbereitung von Klimadatensätzen und -informationen. Sie ist Mitglied des ÖKS-Steering Committees, das sich im Rahmen der Initiative „Klimaszenarien.AT“ mit der Entwicklung neuer Klimaszenarien für Österreich befasst. Darüber hinaus vertritt sie die GeoSphere Austria in der (EURO-)CORDEX-Community für die europa- bzw. weltweite Koordination regionaler Klimasimulationen.

Holistic Building and HVAC Modelling – Prerequisite for Efficient Heat Pump Systems

On the path of the electrification of the building stock, heating of buildings will be dominated by heat pumps (HPs), especially in areas without access to district heating. However, integrating HPs into existing multi-apartment buildings in an urban environment presents numerous challenges and involves a wide range of decisions. To facilitate effective planning during the critical early stages of the design process, building physics engineers, HVAC planners and energy consultants need reliable planning tools and databases. Additionally, they must collaborate through an integrated design process.

A comprehensive workflow has been developed to evaluate, compare, and optimize various thermal renovation options and HP system solutions for residential multi-apartment buildings. These options include different levels of thermal renovation regarding renovation depth and degree of invasiveness. With respect to HP system solutions central, semi-central, decentralized, and mixed HP systems are considered. It takes into account distribution and storage losses, as well as the HP performance, which depends on the building’s heating load, the heat emission systems and the corresponding required flow temperature. Finally, the workflow considers the integration of onsite renewable energy sources (i.e. PV) and thermal and electric storage systems.

  • Assoz. Prof. Dr.-Ing. Fabian Ochs

    Assoz. Prof. Dr.-Ing. Fabian Ochs arbeitet und lehrt am Arbeitsbereich Energieeffizientes Bauen der Universität Innsbruck seit 2009. Seine aktuelle Forschung fokussiert auf die Energiewende mit dem Schwerpunkt Gebäudesektor. Er Forscht und lehrt in den Bereichen Energieeffiziente Gebäude, Bauphysik, Gebäudetechnik, Thermodynamik und Erneuerbare Energie sowie Energiespeicherung. Die ganzheitliche Modellierung und Optimierung von Gebäuden- und Gebäudeverbünden mit ihrem Energiesystem wird begleitet durch experimentelle Arbeit im Labor sowie durch Monitoring in Demonstrationsprojekten. Die angewandte Forschung in nationalen als auch internationalen Forschungs- und Industrie-Projekten wird ergänzt durch die internationale Vernetzung über zahlreiche IEA Forschungskooperationen. Er ist Mitglied verschiedener Scientific Committees internationaler Konferenzen sowie Mitglied der Arbeitsgruppe der Austrian Standards (Komitee 175 und 235), der Arbeitsgruppe 4640 des VDI, des Arbeitskreises Langzeitwärmespeicher sowie der IBPSA. Die Dissertation zum Thema „Modelling Larga-Scale Thermal Energy Stores“ schloss er 2009 an der Universität Stuttgart ab. Er studierte Energietechnik an der TU Berlin.

Simulationsmodelle für nutzerzentrierte Gebäude

Da Menschen in Europa einen Großteil ihrer Zeit in Innenräumen verbringen, ist das Hauptziel stets die Schaffung von gesunden, behaglichen und produktivitätssteigernden Umgebungen.  Aufgrund der Klimakrise steht diesem ersten Ziel das Streben nach einem möglichst geringen Energiebedarf bzw. Ausstoß von Treibhausgasen entgegen. Für den Gebäudesektor stellen dynamische, mit der Anlagentechnik gekoppelte Gebäudesimulationen ein wichtiges Werkzeug für die Lösung dieser Problematik dar. Sie ermöglichen im Vergleich zu statischen Ansätzen realitätsnähere Bedarfe insbesondere zum Heizen, Kühlen und Lüften zu ermitteln. Zudem lässt sich durch die Kombination mit den Modellen der Anlagentechnik und entsprechender Regelungsalgorithmen das Energieeinsparpotential durch eine optimierte Betriebsweise berechnen oder die Auslegung der Teilsysteme optimieren. Dabei werden jedoch die eigentlichen Anforderungen der Nutzer und Nutzerinnen vergleichsweise simpel abgebildet, so zum Beispiel durch feste Belegungsprofile, feste Temperatursollwerte bzw. Temperaturzielbereiche und Mindestfrischluftmengen. Obwohl die Wahl dieser Nutzungsparameter einen großen Einfluss auf die berechneten Bedarfe hat, stehen der vereinfachten Nutzungsmodellierung in der Praxis deutlich komplexere Randbedingungen gegenüber. Dieses Nutzungsgap trägt anteilig zum Gesamt-Performance-Gap von Gebäuden bei, welches die Abweichungen zwischen Planung und Betrieb beschreibt. So führt die gestiegene Home-Office-Nutzung zu Teilbelegungen von Büroflächen. Hier könnten beispielsweise Personalized Environmental Control Systems (PECS) zum Einsatz kommen, um nur die Bereiche zu konditionieren, die belegt sind. Gleichzeitig bieten PECS durch individuelle Kontrollmöglichkeiten einen erhöhten Komfort. Jedoch fehlt bislang ein einheitlicher Modellierungsansatz der PECS für deren Potentialbewertung. Eine weitere Herausforderung stellt die Elektrifizierung des Heizsystems in Kombination mit dem Anstieg der volatilen Stromerzeugung dar. So steigt der Bedarf nach Flexibilitätspotentialen zur Entlastung des Stromnetzes. Um das Demand-Side-Management-Potential durch Aktivierung der thermischen Gebäudemasse von Einzelgebäuden und Quartieren zu bestimmen, werden jedoch auch hier komplexere Ansätze zur Abbildung des Nutzerverhaltens und -komforts benötigt. In dem Vortrag werden aktuelle Forschungsarbeiten und entsprechende Lösungsansätze für dynamische Gebäudesimulationen für nutzerzentrierte Gebäude vorgestellt.

  • Dr.-Ing. Kai Rewitz

    Dr.-Ing. Kai Rewitz erlangte sein Diplom im Studiengang Maschinenbau an der RWTH Aachen im Jahr 2012 und begann anschließend seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Gebäude- und Raumklimatechnik. Seit 2019 leitet er das Team Nutzerverhalten und Komfort. Im Jahr 2020 schloss er seine Promotion zum Thema Modellierung des thermischen Komforts in Kabineninnenräumen mit Auszeichnung ab. Seit 2021 arbeitet er zudem als Oberingenieur in der Leitungsebene des Lehrstuhls. Er beschäftigt sich mit der Untersuchung und Entwicklung energieeffizienter Klimatisierungsstrategien in Gebäuden und Fahrzeugkabinen, insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von Elektrofahrzeugen. Außerdem beschäftigt er sich mit Probandenstudien und deren Analysen zur thermischen Behaglichkeit und nutzt diese im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung von thermophysiologischen Modellen. Weitere Arbeitsthemen sind die Entwicklung von cloud-vernetzten Sensorsystemen zur Erfassung des Innenraumklimas, die Einbindung von Nutzern über Benutzerschnittstellen mittels Feedback- und Feedforward-Ansätzen zur nutzerzentrierten Gebäudebetriebsoptimierung sowie die Analyse und Verbesserung der Innenraumluftqualität in Bezug auf unterschiedliche Lasten und deren Einfluss auf die menschliche Geruchswahrnehmung und Gesundheit. Aktuell leitet er zudem den Subtask B1 des „IEA EBC – Annex 87 – Energy and Indoor Environmental Quality Performance of Personalised Environmental Control Systems”.